
Die Textarbeit
Wie ist die Vorgehensweise?
Grundsätzlich gibt es nicht die eine „Methode“. Man kann sich einem Text unterschiedlich annähern. Kern der Textarbeit ist, dass es um die Worte des Autors selbst geht. Man denkt sich in den Gedanken eines Autors bewusst hinein und macht ihn lebendig.
I. Die Basis der Textarbeit – Das schöpferische Denken des Textes
Die Frage nach der Logik und dem Aufbau
Basis der Textarbeit ist das objektive Anschauen eines Gedanken. Das Anschauen einer Aussage kommt meistens sehr kurz. Um einen objektiv Text anzuschauen, kann man zum Beispiel bewusst die verwendeten Verben oder Substantive wahrnehmen oder auch den Gedankengang in einem Text betrachten. Indem man den Satz wörtlich betrachtet und sich in die Gedankenlogik hineinarbeitet, nimmt man zugleich erst einmal Abstand von eigenen impulsartigen Reaktionen, Emotionen, Urteilen oder Bewertungen. Es geht darum, sich eine getreue Vorstellung von der Aussage eines anderen Menschen zu bilden.
Eine Ergebnis davon ist, dass man eine Aussage wie von selbst auswendig wiedergeben kann, weil man einen persönlichen Bezug, eine Erkenntnis zur „Komposition“ des Satzes entwickelt hat. Man wird merken, dass man dann einen Text wie einen Begleiter erlebt, der einem präsent ist. Der Text mit seinem Gedanken wird Teil von einem selbst.
Die Bedeutung des wörtlichen Wahrnehmens eines Textes
Die geschriebenen Worte wörtlich zu nehmen und sie wirklich anzuschauen, ist etwas besonderes und geschieht nicht automatisch. Gerade indem man einen Text wörtlich anschaut, sieht man erst wirklich, was der Autor sagen möchte und “versteht” die Aussage des Autors. Durch das wörtliche Betrachten eines Textes entsteht ein Bild. Einzelne Worte, Verben, Substantive bewusst zu betrachten, ist deswegen ein Teil der Textarbeit.
Auf was wird geachtet?
Bei der Textarbeit liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung einer lebendigen Vorstellung des Textes. Bereits das Vorlesen kann einen Text verlebendigen. Indem der Leser bewusst auf jedes Wort, das er liest, achtet und sich bewusst wird, dass er es durch sein Sprechen erschafft, kann er für die Zuhörer bereits ein Vorstellungsbild erschaffen.
“Lesen sollte deshalb zu der lebendigen Disziplin einer beschaulichen, aufmerksamen, meditativen und schließlich schöpferischen, Gedanken erzeugenden Kunst gelangen.” (Heinz Grill, Das Lesen und der Aufbau von Ätherkräften)
Es geht bei der Textarbeit nicht darum, vom Text etwas zu erhalten, neues Wissen zu gewinnen, sondern im Gegenteil darum, den Text zu denken und ihn zu einer geistigen Vorstellung zu verlebendigen, ihn noch einmal zu erzeugen.
“Das Lesen versieht das Leben nur mit dem Material für das Wissen, erst das Denken macht das Gelesene zu unserem Eigentum. Es genügt nicht, daß wir uns mit einer großen Ladung von Sammelgütern anfüllen, wenn wir diese nicht durchdenken, werden sie uns keine Kraft und Nahrung geben.” (John Locke (1632 – 1704), englischer Philosoph und Politiker)
II. Das Weiterdenken in der Gedankenlogik des Autors
Ausgehend von der objektiven Betrachtung eines Gedankens beginnt sich der Gedanke einem zu öffnen und wie “lebendig zu werden”. Die Worte erscheinen in einem Bild. Man erlebt den Aufbau, die Komposition mit den Worten, wie eine Komposition eines Hauses. Man kann den Gedankengang des Autors nachvollziehen und in sich verlebendigen. Nun ist es möglich, innerhalb des Gedankens den Gedanken ausgehend von der Logik des Autors weiter zu denken. Das Wesentliche ist, dass man nicht ausgehend von seiner eigenen Logik, seinen Assoziationen und Erinnerungen etwas von sich zum Text bringt, sondern von dem Gedanken eines anderen Menschen ausgeht und von diesem ausgehend weiter denkt.
Meistens redet man assoziativ zu einem Text hinzu, verbindet eigenes Wissen mit dem Text oder meint, man kann einen Text nur dann verstehen, wenn man bereits Wissen/ Vorwissen besitzt. Gerade darum geht es jedoch bei dieser Art der Textarbeit nicht primär. Betrachtet man den Gedanken, wie er ist, dann ist dies frei von eigenem Wissen jederzeit möglich. Man kann dann als Folge aus dem Gedanken selbst denken und weiterdenken.
III. Das Einbetten des Gedankens in einen größeren Zusammenhang
Schließlich ist es möglich, den gedachten Gedanken in einen Zusammenhang zur Welt, den Menschen, zu einer Situation zu stellen. Man erschafft eine Verbindung zwischen dem Gedanken und einer Situation, einer Sache, etc.
Was sind die Hintergründe der Textarbeit? Das Lesen als schöpferische Kunst
Das Arbeiten mit einem Text ist eine grundlegende Arbeit, mit der man sogenannte Ätherkraft oder Lebenskraft erzeugt. Indem man sich eine bewusste Vorstellung von einem Text erarbeitet, wird man gedanklich schöpferisch. Dieses Schöpferisch-Sein bezieht sich jedoch nicht darauf, dass man ganz neue Gedanken parallel zum Text entwickelt, sondern, indem man das, was geschrieben ist, noch einmal erschafft und somit verlebendigt. Man erweckt damit eine Aussage zum Leben. Durch diese Art des Lesens und Arbeitens erzeugt und baut man deswegen neue Ätherkräfte auf.
Auf einen Text mit geistigem Inhalt bezogen, kann man durch das Hineindenken in die Worte eines philosophisch, geistvollen Menschen diese Gedanken in sich erneut zum Leben erwecken. Man fühlt sich in die Seele und in den Geist des Textes hinein und vermag so die Gedanken zu „entschlüsseln“ und lebendig in sich zu empfinden. Geistvolle, weisheitsvolle Inhalte werden so in der Seele lebendig.
Was lernt man durch Textarbeit? Unterscheidung zwischen persönlicher Assoziation, Emotionen, Schlussfolgerungen und dem gelesenen Text
Sehr häufig kann man in der Textarbeit erleben, dass man eine Aussage liest und diese sehr schnell mit etwas Eigenem assoziiert, was nicht geschrieben wurde. Würde man dies nicht bemerken, könnte es passieren, dass man etwas ganz anderes denkt und versteht als das, was wirklich geschrieben ist. Beispielsweise liest man einen Begriff und assoziiert sofort ein persönliches Erlebnis damit und denkt von diesem aus den Text. Damit schaut man den Text jedoch nicht mehr bewusst an.
Grundsätzlich lernt man bei der Textarbeit, eine längere Aufmerksamkeit auf eine Aussage zu richten. Man bemerkt dann den Unterschied zwischen persönlichen subjektiven Gedanken, Gefühlen, Bewertungen, Fragen, Urteilen, die automatisch heraufsteigen, und dem wirklich geschriebenen Wort.
Die Stärkung der Kommunikationsfähigkeit und der Urteilsbildung
Man lernt durch diese Art der Textarbeit nicht über den Text zu sprechen, sondern aus dem Text selbst heraus zu denken und quasi “in” ihm zu sprechen. Aufgrund der eigenen Erkenntnis und Anschauung gegenüber dem Text kann man sich ein Urteil bilden. Dieses Urteil ist im Vergleich zu den oft sehr schnellen, emotionalen Urteilen, die in einem hochschießen, belegbar und – das ist sehr wichtig – für andere Menschen objektiv nachvollziehbar. Dies gilt unabhängig von der Art des Textes, mit dem man arbeitet.
“Es gibt dreierlei Arten Leser; eine, die ohne Urteile genießt, eine dritte, die ohne zu genießen urteilt, die mittlere, die genießend urteilt und urteilend genießt; diese reproduziert eigentlich ein Kunstwerk aufs neue. Die Mitglieder dieser Klasse sind nicht zahlreich.” Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Aufgrund der erfolgten Betrachtung einer Aussage, kann man sich gegenüber einer Aussage positionieren. Statt sofort unmittelbar für oder gegen eine Aussage zu sein, lernt man aus dem Text selbst heraus zu denken und zu argumentieren. Durch einen bewussten Umgang mit Texten stärkt sich deswegen das natürliche Selbstbewusstsein des Menschen, seine Urteilsbildung, seine Empathiekraft und Kommunikationsfähigkeit.
Das Kennenlernen des Autors
Indem man in den Gedankengang des Autors „hineinsteigt“ und in seiner Logik denkt, lernt man direkt den Geist und den Gedankengang eines anderen Menschen kennen. Es gleicht dann das Lesen einer Kommunikation mit einem anderen Menschen. Es entsteht durch diese Weise eine Verbindung mit dem Autor und neue Inspiration.
Empfohlene Grundlektüre für die Textarbeit :
Das Lesen und der Aufbau von Ätherkräften (Heinz Grill).

In dieser kleinen Broschüre von Heinz Grill wird beschrieben, wie das schöpferische Umgehen mit Texten Ätherkräfte erzeugt.
Lehrplan für den Teilbereich Textarbeit
1. Lesen und der Aufbau von Ätherkräften
Die wesentlichste Bedeutung des richtigen Lesens von spirituellen oder philosophischen Texten liegt in der Freisetzung ihrer inneliegenden geistigen Substanz und der Erzeugung heilsamer, sogenannter Ätherkräfte. Diese entstehen durch das lebendige Erschaffen des Textes.
2. Objektives Erfassen eines Textes
Ein weiteres Ziel der Textarbeit ist das objektive Erfassen eines Textes, die Fähigkeit, länger einen Gedanken in die Anschauung zu bringen, die Erfassung des Hauptgedankens, das Wahrnehmen des geschriebenen Wortes, das Denken ausgehend von dem Gedanken selbst sowie das Hineinstellen oder Einbetten des Textes in einen größeren Gesamtzusammenhang.
3. Die Stärkung des Menschen durch die objektive Anschauung
Das Lesen fördert eine Beziehungsfähigkeit im Leben und die soziale Integrität des Menschen. Textarbeit in einem objektiven Sinne wirkt heilsam auf das Nervensystem und das Immunsystem, denn es befähigt den Menschen zur objektiven Anschauung.
4. Die Entdeckung des Motivs des Autors
Textarbeit ist ein Erforschen des tiefer liegenden Motivs und der innerer Substanz in einem Text.
5. Das Erarbeiten von Kriterien für ein objektives Lesen
Gelernt wird die Entwicklung von Kriterien für das Erfassen eines Textes.
Beispielsweise: Logischer Aufbau der Gedanken, Zusammenhänge und Bezüge, klare sachliche Aussagen – unsachliche Aussagen, fehlende Zusammenhänge und Bezüge, fehlende Informationen, beschreibend oder wertend und moralisierend, Charakter, etc.
6. Lesen verschiedener Texte
- Lesen von spirituellen und philosophischen Texten
- Lesen von verschiedenen spirituellen Texten zur Unterscheidung der inneliegenden Substanz
- Lesen von suggestiven Texten und Neuformulierung
- Studium von Texten von Politikern und anderen
7. Grundlegende Schritte, die das objektive Lesen aller Texte fördern
Der Studierende schult sein Bewusstsein dahingehend, eine objektive Anschauung zu den Aussagen eines Textes herzustellen. Zwischen Leser und Text besteht eine klare Trennung. Die eigenen Gefühle, Stimmungen, Sympathien oder Antipathien nimmt er wahr, unterscheidet sie vom Text und hält sie, als nicht zum Text gehörig, zurück, damit sie nicht mit dem Text vermischt werden.
Beim Lesen handelt es sich um eine Beziehungsaufnahme zum Text und zum Autor. Der Text ist nicht vom Menschen, der ihn verfasst hat, zu trennen.
Die gelesenen Worte werden beim Lesen in einer wachen Bewusstseinsaktivität gedacht und gedanklich neu erschaffen. Der Text wird vom Leser neu belebt.
Der Leser erfasst die Hauptgedanken in dem Text und benennt sie, ohne jedoch deren Aussage zu verfälschen.
Der Studierende baut klare Vorstellungen zum Text auf.
Nach einer ausreichenden Anschauungs- und Vorstellungsbildung zu den Aussagen kann der Lesende den Text weiterdenken und einen persönlichen Standpunkt dem Text gegenüberstellen. Zum Beispiel kann er Stellung beziehen, welchen Wert er den Gedanken beimisst, ob er sie für brauchbar für ein aufbauendes und gesundheitsförderliches Sozialleben und für die aktuelle Weltsituation erachtet. Er bezieht damit eine eigene individuelle Position aus seinem Ich zu dem Gelesenen, ohne dieses zu verfälschen.
Als weiteren Schritt nach intensiverer Anschauungsbildung denkt der Studierende das Gelesene eigenständig weiter bis in die sozialen Lebensbezüge hinein und schließlich überlegt er, wenn ihm die Inhalte brauchbar und wertvoll erscheinen, wie er diese durch seine eigene Aktivität und Arbeit für das soziale und berufliche Leben verfügbar machen kann.
Interessant und weiterführend ist hierzu auch der Beitrag
Willensstärkung beim Lesen von spirituellen Texten